Beratungsarbeit im Feld

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Beratungsarbeit zu Verschwörungsideologie und ihre Leerstellen - ein machtkritischer Einblick

MBT Hamburg

Glossar: Im Text sind einige Begriffe farblich hervorgehoben und zum Glossar verlinkt. Dort gibt es weitere Informationen zu diesen Begriffen.

Der gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeitsschub, den Verschwörungsideologien mit dem Eintritt der pandemischen Lage erfahren haben, macht sich nachvollziehbarer Weise auch in den Beratungsangeboten und der politischen Bildungsarbeit im Feld Rechtsextremismus / rechte Ideologien / rechte Gewalt bemerkbar. Als Beratungsprojekt, das in diesem Feld verortet ist, möchten wir im Folgenden einige Beobachtungen kritisch besprechen, die wir dort im Kontext unserer alltäglichen Arbeit machen.

Hierbei fällt zunächst an verschiedenen Stellen auf, dass Verschwörungsideologien mitunter isoliert von anderen rechten Einstellungsmustern bearbeitet und besprochen werden. Wie eingangs beschrieben, ist der Zusammenhang zwischen Popularität von Verschwörungsideen und Corona-Pandemie recht deutlich. Viel zu selten thematisiert ist allerdings, wie schnell antisemitische und rassistische Erklärungsmuster für die pandemisch veränderte Weltlage verfügbar waren und abgerufen wurden. An dieser Stelle zeigt sich nicht nur, wie tief antisemitische und rassistische Denkmuster in der Gesellschaft verankert sind, sondern auch die Bereitschaft, diese für die Erklärung einer globalen Krise heranzuziehen[1]. Hinzu kommt die zentrale Rolle, die Antisemitismus und Verschwörungsideologien in ihrer Wirkmächtigkeit füreinander spielen[2]. Dennoch gibt es Strukturen, die z.B. Angehörige von Verschwörungsgläubigen beraten, die den strukturellen Zusammenhang von Verschwörungsideologien und rechter Ideologie nicht anerkennen. Andersherum herum gibt es auch Strukturen im Feld der Arbeit zu Rechtsextremismus, die erst gar keine Bildungs- und Beratungsangebote im Kontext von Verschwörungsideologien machen – aus demselben Grund.

Unserer Beobachtung nach ist diese Haltung zwar nicht repräsentativ für die Angebote, die es mit Blick auf politische Bildung und Beratung zum Thema Verschwörungsideologie gibt, dennoch wird sie mit der De-Thematisierung von Antisemitismus oftmals reproduziert. Wenn die Benennung von Antisemitismus erfolgt, dann meist beim Verweisen auf offenkundig die Shoah verharmlosende Symboliken auf Kundgebungen / Demonstrationen, einzelne spezifische Verschwörungserzählungen (wie QAnon) oder auf die wiederkehrende “Die-da-oben”-Rhetorik in verschwörungsideologischen Kontexten. Diese Verweise sind zwar richtig und notwendig, verkürzen den gesamtgesellschaftlichen Antisemitismus aber auf die sogenannte Spitze des Eisbergs. Die Reduzierung auf die oben genannten Beispiele ermöglicht es weiten Teilen der Gesellschaft, ihre eigene Rolle und die Tragweite von Antisemitismus zu ignorieren. Neben Antisemitismus wird auch die zentrale Bedeutung von Rassismus und Antifeminismus für verschwörungsideologische Agitation oft nicht benannt.

Neben der Weigerung, Verschwörungsideologie als rechte Ideologie zu behandeln, und der De-Thematisierung von Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus ist leider immer wieder festzustellen, dass auch professionalisierte Multiplikator:innen die Narration der “durchgeknallten Aluhüte” undifferenziert übernehmen. Leider fließt diese Perspektive auch in die Angebote verschiedener Beratungsstrukturen ein. Verschwörungsideologie wird hierbei nicht nur pathologisiert. Verschwörungsideologie wird hierbei nicht nur pathologisiert und so Menschen zugeschrieben, die ableistisch als “verrückt” gelabelt werden. Gleichzeitig werden dadurch auch vermeintliche Gesundheitszustände unreflektiert als Grund für rechte, rassistische und antisemtischeantisemitische Haltungen und Handlungen stigmatisiert.

Fachlich kommt es derweil zu Verzerrungen hinsichtlich der Einordnung, wer Täter:innen und wer Betroffene im Kontext von Verschwörungsideologie sind. Während Verschwörungsgläubige und ihre darunter leidenden An- und Zugehörigen fälschlicherweise gleichermaßen als “Betroffene” beschrieben werden, werden von Antisemitismus und/oder Rassismus Betroffene auf mehreren Ebenen ignoriert.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Bildungs- und Beratungsarbeit zu Verschwörungsideologie an vielen Punkten hinter Standards zurückfällt, die im Feld Rechtsextremismus mühsam etabliert wurden oder noch immer erkämpft werden:

  • Verschwörungsglaube als rechtes Einstellungskonzept zu begreifen und damit als gesamtgesellschaftliches Problem wahrzunehmen.
  • Betroffenenperspektiven und Erfahrungswissen gilt es, als Expertisen anzuerkennen, die die Arbeit im Feld sehr dringend braucht.
  • Es gibt keine gesellschaftliche Mitte, an deren angeblichen Rändern verschwörungsideologischer Aktivismus stattfindet.
  • Verschwörungsideologie steht in enger Verbindung zu Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus, die als Ideologien der Ungleichwertigkeit tief in gesellschaftliche Denk-, Handlungs-, und Machtstrukturen eingeschrieben sind.
  • Verschwörungsideologischer Aktivismus lässt sich nicht auf spezifische Merkmale wie Erscheinungsbild, Bildungsgrad oder die individuelle soziale Situation seiner Akteur:innen verkürzen. 

Für die weitere Arbeit braucht es ein Verständnis darüber, dass Verschwörungserzählungen eine historische und basale Rolle in rechter Mobilisierung spielen. Damit geht das Ernstnehmen von Verschwörungsideologie als gewaltvolle rechte Ideologie einher. Weiterhin gilt es im Blick zu behalten, wie sich Ideologieelemente wie Antifeminismus, Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus in verschwörungsideologischen Haltungen und Handlungen verschränken. Für die Bildungs- und Beratungsarbeit sind machtkritische und vor allem niedrigschwellige Angebote weiterhin von großer Wichtigkeit, genauso wie die Vernetzung von Multiplikator:innen und Ratsuchenden.


[1]              MBT 2021, https://hamburg.arbeitundleben.de/img/daten/D475975284.pdf, S. 3 ff.

[2]            https://www.youtube.com/watch?v=j1iN_yzebHY

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