Verschwörungsglaube und rechte Ideologie

Es ist ein Bild zu sehen mit Schrift vor einem Hintergrund mit vielen Sprechblasen. Der Text lautet: #Antifeminismus, #Antisemitismus, #Überschneidungen
Vermeintliche Übermacht: Was antisemitische und antifeministische Verschwörungserzählungen verbindet

von Riv Elinson

Glossar: Im Text sind einige Begriffe farblich hervorgehoben und zum Glossar verlinkt. Dort gibt es weitere Informationen zu diesen Begriffen.


Was haben Aussagen wie: »Wir brauchen mehr deutsche Kinder, um gegen die Ersetzung des deutschen Volkes zu kämpfen« und »Die Juden haben den Feminismus und/oder den Gender- Gaga erfunden« gemeinsam?

Es handelt sich um verbreitete Verschwörungserzählungen, die antisemitisch und antifeministisch zugleich sind. Doch was bedeutet das konkret? Was ist Antifeminismus, was Antisemitismus, was verbindet sie und was hat das alles mit Verschwörungserzählungen zu tun?

Antifeminismus geht mit der Entstehung von Feminismus einher und muss als eine Reaktion verstanden werden, welche sich nach Schenk und Planert, gegen Feminismus und dessen Errungenschaften richte. (vgl. Schenk; Planert 2018, S. 28) Dahingegen forderten schon ab der Jahrhunderterwende explizit antifeministische Stimmen, so Planert, die Rückgängigmachung besagter Errungenschaften – wie die Öffnung von Bildungsinstitutionen für Frauen – und organisierten sich schlussendlich 1912 »in der Gründung des ‚Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation‘«. (vgl. ebd., S. 30) Die antifeministischen Bewegungen schoben der »Frauenemanzipation« die Verantwortung für diverse gesellschaftliche Krisenerscheinungen zu. Schminke beschreibt die Argumentation damaliger Bewegungen als »deutschnational, völkisch-rassistisch und nicht zuletzt antisemitisch«. (vgl. ebd., S. 31)

Damit baut Antifeminismus zwar auf sexistischen Strukturen in der Gesellschaft auf, jedoch geht es noch um mehr als nur die Reproduktion von Sexismus, weshalb Antifeminismus als ein zentraler Bestandteil von rechten Ideologien verstanden werden kann. Das Ziel von antifeministischen Ideologien ist die Festigung und/oder Erstarkung von Geschlechternormen und den damit einhergehenden Machtverhältnissen. Daher lehnen damals wie heute antifeministische Ideologien die Gleichberechtigung von Frauen, sowie LGBTQIN+[1] Personen ab und erheben den heterosexuellen cis-Mann zum Ernährer eines Haushaltes und dem einzigen berechtigten Bürger einer Nation.

Es wird deutlich, dass Antifeminismus sich nicht einzeln verorten lässt und sich stattdessen in einem Netz aus Verschränkungen mit Rassismus, Antisemitismus und Ethnozentrismus bewegt. Auch in heutigen neurechten Bewegungen spiegeln sich diese Verschränkungen wider und so bedingen sich die Ideologien meist gegenseitig. Besonders die Äußerungen und Funktionsweisen von Antifeminismus und Antisemitismus weisen dabei viele Gemeinsamkeiten und Verschränkungspunkte miteinander auf.

Dies äußert sich beispielweise in der Andersmachung von »Juden«[2] und »Frauen«[3]. Hier werden sowohl die »Juden«, als auch die »Frauen« vom eigenen Selbst abgegrenzt und damit zum »Anderen« gemacht, auf welche alle ungewollten Eigenschaften des eigenen Selbst übertragen werden können. So ist das Selbst stark, wenn das »Andere« schwach ist, was schlussendlich ein binäres Verständnis von sich und der Umwelt mit sich bringt. (vgl. Schäuble 2016, S. 1) Das binäre Gut-Böse denken reduziert die Komplexität der Realität – ähnlich wie in Verschwörungserzählungen. Denn Verschwörungserzählungen basieren auch auf einer Komplexitätsreduktion von gesellschaftlichen Verhältnissen und ihren Problematiken, sowie auf Zuschreibungen, dass eine bestimmte Personengruppe vermeintliche Übermacht besäße und die Verantwortung für alle gesellschaftlichen Problematiken trage – seien es die Illuminaten, Aliens, oder eben auch Juden und/oder Frauen, bzw. insbesondere Feminist* innen. Hier wird der Zusammenhang von Verschwörungserzählungen, Antifeminismus und Antisemitismus deutlich.

Wie »Frauen« und »Juden« gleichzeitig schwach und übermächtig sein können, wirkt zunächst nicht schlüssig, bis die Funktion dahinter verstanden wird. Denn eine binäre Auffassung der Welt mit einer klaren »Gut« und »Böse« Einteilung muss erklären, wie das kapitalistische System einer »guten« Nation ausbeuterisch gegenüber der »eigenen« Bevölkerung sein kann. Und so werden die »Juden« zu den Repräsentanten des Bösen konstruiert – der Grenzfigur der sozialen Ordnung. Auch die emanzipierte Frau wird »als Feinbild und existenzielle Bedrohung für den Fortbestand der Nation angesehen.« (Botsch 2018, S. 64) Demzufolge sehen rechte Ideologien, nach Botsch, das Volk als Organismus an, welches reingehalten, also nicht mit »anderen« Völkern vermischt werden darf. Die weiße deutschchristlich sozialisierte Frau erfüllt in dieser Vorstellung ihre »natürlichen« Rolle in der Produktion von »deutschen« Kindern. Eine Emanzipation würde dieses vermeintlich natürliche soziale Gefüge bedrohen.

Außerdem können Krisen begründet werden, wenn »Juden« und emanzipierten »Frauen« zu Sündenböcken gemacht werden. Zentral ist, dass diese Ideologien die soziale Ordnung der Gesellschaft erhalten oder sogar stärken können, denn Antifeminismus stärkt das binäre Geschlechtergefüge und schwächt damit die Zweifel an der Gesellschaftsordnung und ihren vermeintlich natürlichen geschlechtlichen Rollenaufteilungen (vgl. Stögner 2014, S. 286), während der Antisemitismus von den Problematiken ablenkt, welche durch das derzeitige kapitalistische und weiß-christliche Vorherrschaftssystems verursacht werden, indem die Schuld für alle gesellschaftlichen Probleme auf die Personengruppe der »Juden« geschoben werden kann.

Die durch die besagten Ideologien geschaffenen Bilder von Frauen und Juden, beeinflussen zudem die gesamtgesellschaftliche Sichtweise auf diejenigen, welche von diesen Bildern betroffen sind. Denn Antifeminismus und Antisemitismus sind historisch gewachsen und beispielsweise durch aus der Nazi-Zeit stammende und heute weiterhin wirksame Gesetze, strukturell in Deutschland verankert. Dabei werden jüdische Menschen als Betroffene in eine bestimmte Wahrnehmung angepasst. Deutlich wird dies beispielsweise in Artikel aus deutschen Medien zu Antisemitismus, in denen jüdische Menschen meist ohne Gesicht, männlich und Kippa tragend dargestellt werden[4]. Oder es wird von einer vermeintlichen jüdischchristlichen Leitkultur gesprochen, um das Recht auf Abtreibung anzufechten, jedoch wird ignoriert, dass jüdische Werte und viele Auslegungen der Torah Abtreibungen erlauben. (vgl. Schnell 2019) In diesen Darstellungen kommen jüdische Menschen nicht selbst zu Wort und queer-feministische jüdische Perspektiven werden gänzlich ausgeblendet. So werden insbesondere jüdisch-feministische Stimmen marginalisiert und ihre Forderungen werden ignoriert und/oder nicht ernst genommen.

Jedoch gibt es viele jüdische-feministische Stimmen in Deutschland und sie sind laut. Wie das Projekt von Tamara Loewenstein »Die nächsten 1700 Jahre: Queer Jewish Futures« zeigt, welches jüdisches Leben abseits von antisemitischen Bildern und erinnerungskulturellen Erwartungen betrachten und stattdessen einen neuen Blick auf eine queere jüdische Zukunft richten will. (vgl. Loewenstein) In ihrem Projekt kommt Loewenstein ins kritische Gespräch mit weißen, Schwarzen, nicht-binären, queeren, lesbischen, bisexuellen, feministischen jüdischen Aktivistis und bricht damit mit der Erwartungshaltung wie jüdische Menschen zu sein und auszusehen haben. Dabei geht es den Sprechenden um keine vermeintliche Tradition der Verbundenheit zur deutschen Nation, wie es beispielsweise im Jubiläum »1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland« (vgl. Stadtportal Hamburg) suggeriert wird, sondern um ihre Forderungen für eine anti-antisemitische Haltung, für geschlechtliche und sexuelle Gleichberechtigung und um ihre Vorstellungen wie eine queere jüdische Zukunft aussehen könnte.

Der Kampf gegen Antifeminismus und Antisemitismus beinhaltet nicht nur einen Kampf gegen das Erstarken der Rechten und baut nicht auf der perfekten Argumentationsstrategie gegen die widersprüchlichen Argumentationen der jeweiligen Ideologien oder ihren Verschränkungen auf. Ein solcher Kampf muss solidarisch gegenüber den Stimmen sein, welche durch diese Ideologien an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und sich für ihre Sichtbarmachung einsetzen. Denn jüdische Queerfeminist_innen kämpfen schon immer unermüdlich, nur werden sie weder gesehen noch gehört.

Autor*inneninformation 
Riv ist jüdische Aktivist_in und
politische Bildner_in. Dabei gibt Riv
Workshops und Vorträge zu den
Themen Antisemitismus, Sexismus,
Verschwörungsideologien, sowie über
den Ausschluss von marginalisierten
Personen aus sozialen Bewegungen
und bildet angehende Trainer_innen
im Bereich Hate-Speech aus.


Literatur

Botsch, G./Kopke, C. (2018): Der „Volkstod“. Zur Kontinuität einer extrem rechten Paranoia. In: Lang J. /Peters U. (Hg.): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hamburg: Marta Press 2018, S. 63–90

Loewenstein, T. (2021). Website des Projekts Queer Jewish Futures. https://www. tamaraloewenstein.com/projects/queerjewishfutures zuletzt geprüft am 21.08.2022.

Schäuble, B. (2017): Antisemitische Diskriminierung. In: Scherr, A., El-Mafaalani, A., Yüksel, G. (eds) Handbuch Diskriminierung. Springer Reference Sozialwissenschaften, Wiesbaden: Springer VS. 2017, S. 545–564

Schenk, H./Planert U. (1980, 1998): In: Schmincke, I. (20.04.2018). Frauenfeindlich, Sexistisch Antifeministisch? Begriffe und Phänomene bis zum aktuellen Antigenderismus APuZ- Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/267942/ frauenfeindlich-sexistisch-antifeministisch/ zuletzt geprüft am 15.08.2022.

Schnell, L. (2019): Jews, outraged by restrictive abortion laws, are invoking the Hebrew Bible in the debate. In: USA TODAY, 25.07.2019. https://eu.usatoday. com/story/news/nation/2019/07/24/abortion-laws-jewish-faith-teaches- life-does-not-start-conception/1808776001/, zuletzt geprüft am 17.08.2022.

Stadtportal für Freie Hansestadt Hamburg (2021): Festjahr 2021: Jüdisches Leben in Deutschland. https://www.hamburg.de/juedisches-leben-indeutschland/ zuletzt geprüft am 21.08.2022.


Stögner, K. (2014).: Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen. 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos (Interdisziplinäre Antisemitismusforschung, Bd. 3).

1 LGBTQIN+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer, Intersex, Non-binary und weitere sich im Spektrum identitfizierten Geschlechter- und Sexualitäten

2 Hier wird explizit das generische maskulin verwendet, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Bild und nicht reale jüdische Menschen handelt.

3 Hier ist explizit von Frauen die Rede, da es sich um das antifeministische Konstrukt vom binären Geschlechtsverhältnis handelt und nicht reale Frauen und LBGTQIN+ Personen.

4 Beispiele davon lassen sich bei ZDF, WDR, SWR, Welt usw. Wiederfinden.

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