Beobachtungen / Monitoring

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(Extrem) rechtes Denken und coronabezogene Verschwörungsideologien: Überschneidungen und Anschlussfähigkeiten

von mbt Hamburg

Glossar: Im Text sind einige Begriffe farblich hervorgehoben und zum Glossar verlinkt. Dort gibt es weitere Informationen zu diesen Begriffen.


In ähnlichen Zyklen wie die Pandemie selbst beschäftigen uns auch die Querdenken-Proteste, wohingegen die Onlinevernetzung und -Hetze konstant blieben. Der gesellschaftliche Umgang mit Verschwörungsmythen und diesen anhängenden Personen und Gruppen ist jedoch sehr unterschiedlich. Er reicht vom Belächeln der Narrative und verschwörungsgläubiger Personen über Versuche der Überzeugungsarbeit durch Faktenchecks sowie das Ignorieren und Ausschließen unwissenschaftlicher Debattenbeiträge bis hin zu einem ernstnehmenden Auseinandersetzen oder auch eigenem Anknüpfen an die Erzählungen. So unterschiedlich wie diese Strategien sind auch die gesellschaftlichen Einordnungen dieser Entwicklungen. Als Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus möchten wir die Debatten um die Einordnung von und den Umgang mit Verschwörungserzählungen und verschwörungsideologischen Szenen durch unsere fachliche Perspektive erweitern. Dazu beschäftigen wir uns in diesem Beitrag mit der Frage, inwiefern die coronaleugnerische und verschwörungsideologische Szene und deren Erzählungen durch (extrem) rechte Ideologieelemente geprägt und mit der organisierten (extremen) Rechten verschränkt sind. Um Antworten auf diese Frage zu finden, bestimmen wir zunächst rechte Ideologieelemente. Anschließend setzen wir diese in Beziehung zu coronaleugnerischen und verschwörungsideologischen Motiven, die von bundesweit vernetzten Akteur_innen in Hamburg verbreitet werden.

Rechte Ideologieelemente
Die Ideologieelemente der (extremen) Rechten basieren insbesondere auf Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Sozialdarwinismus, Sexismus, Ableismus und Heterosexismus. Weitere Ideologieelemente der (extremen) Rechten umfassen eine Verherrlichung oder zumindest Verharmlosung des Nationalsozialismus, die Befürwortung einer Diktatur sowie Gewaltverherrlichung. Festzuhalten ist, dass wir die (extreme) Rechte nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen betrachten, sondern in einem fließenden Übergang zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. Die aufgezählten rechten Ideologieelemente finden sich bis zu bestimmten Ausprägungen auch in den Einstellungen weiter Teile der Gesamtbevölkerung in Deutschland wieder [1]. Und nicht nur in den Einstellungen von Personen, sondern auch in Form von gesellschaftlichen Machtverhältnissen finden sich oben genannte Ideologien der Ungleichwertigkeit wieder. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, inwiefern unsere gesellschaftlichen Strukturen beispielsweise in Form von Pay-Gaps, Verteilung von Ressourcen, Repräsentation in Medienberichterstattung und in Berufsfeldern durch Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Sozialdarwinismus und Heterosexismus geordnet werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die (extreme) Rechte viele Anknüpfungspunkte in der deutschen Gesellschaft hat.

Verschwörungsideologien differenziert betrachten
Mit Blick auf Verschwörungsideologien ist es wichtig zu unterscheiden: Es gibt solche wie QAnon, die Ausdruck gezielt rechter Strategie sind. Und solche Narrative, die zunächst keine Hinweise auf einen (extrem) rechten Ursprung liefern, aber dennoch im Kern antisemitische Motive bedienen [2]. Ein Beispiel hierfür sind Erzählungen, in den behauptet wird, dass die Pandemie nur ein Vorwand sei, um geheime Interessen einzelner (jüdischer oder jüdisch imaginierter) Personen zu verfolgen. Der Fokus dieses Textes liegt auf coronabezogenen Verschwörungsideologien, wobei Inhalte von Verschwörungserzählungen dynamisch sind und häufig an aktuelle Entwicklungen angepasst werden.

Antifeminismus und Sozialdarwinismus als wichtiger Bestandteil von coronabezogenen Verschwörungsideologien
Viele der oben besprochenen Versatzstücke (extrem) rechter Ideologien finden sich auch in Verschwörungserzählungen und/oder coronaverharmlosenden Narrativen wieder. So bedient etwa der Geschäftsführer einer bundesweit bekannten Biolebensmittelmarke eine antifeministische Argumentation, indem er die Zahl der jährlichen Schwangerschaftsabbrüche mit der der an Corona verstorbenen Menschen vergleicht und erstere im Gegensatz zu letzterer als problematisch einschätzt [3]. Darin zeigt sich das sozialdarwinistische Moment, vermeintlich lebenswerteres Leben gegen anderes Leben auszuspielen, und ebenso der Versuch, die Selbstbestimmungsrechte von schwangeren Personen zu unterminieren. Auch jenseits von Coronaleugnung lassen sich sozialdarwinistische Ideen beobachten, etwa in der Forderung nach unkontrollierter Durchseuchung und damit verbunden der Inkaufnahme von vermeidbaren Gesundheitsrisiken beispielsweise für chronisch kranke Menschen. Die Partei Die Basis Hamburg warb während des Bundestagswahlkampfs auf einem ihrer Telegram-Chats mit der Ablehnung von gendersensibler Sprache und ebenso einer vermeintlichen Sexualisierung von Kindern in Kita und Schule [4]. Letzteres ist eine Forderung, die zum Beispiel auch auf Veranstaltungen von »Demo für alle« starkgemacht wird, einem Vernetzungsort für christliche Fundamentalist_innen und AfD-nahe Akteur_innen, der sich auch für (extrem) rechte Organisationen wie die Identitäre Bewegung oder die Partei Der dritte Weg als anschlussfähig erwies [5,6]. Anlässlich der pandemischen Entwicklung setzt sich auch »Demo für alle« gegen die Test-, Masken- und eine angebliche Impfpflicht für Kinder ein [7]. Vielfach und auch in Hamburg verbreiten coronaleugnerische Akteur_innen Verschwörungsideologien, wobei sie die vermeintliche Sorge um das Wohl von Kindern in den Mittelpunkt stellen.

Antisemitismus als Kern von Verschwörungsideologien und NS-verharmlosende Banner
Während eindeutige antisemitische und die Shoah verharmlosende Symbole, wie beispielsweise ein gelber Stern mit der Aufschrift »ungeimpft« auf Querdenken-Kundgebungen in Hamburg medial besprochen werden, bleiben codierte Formen von Antisemitismus in diesem Kontext oft unerkannt. Ausgehend von der Funktion von Verschwörungsideologien, für komplexe Vorgänge einfache Erklärungen abzugeben, welche meist mit angeblichen geheimen Interessen von jüdischen Personen zusammenhängen, zeigt sich deren antisemitischer Kern. Auch bundesweit gut vernetzte (extrem) rechte Hamburger Youtuber_innen mit großer medialer Reichweite bemühen das Narrativ, dass im Kontext der pandemischen Entwicklung, beispielsweise durch das Impfen, geheime Pläne verfolgt würden. Ebenso fallen auf coronaleugnerischen Kundgebungen und in entsprechenden Einträgen auf Social Media immer wieder Vergleiche zwischen dem Nationalsozialismus und den Jahren 2020/21 auf. Aus der Imagination heraus, dass die pandemische Lage einer Diktatur gleiche oder man sich in kriegsähnlichen Zuständen befände, kann ein gefährlicher Handlungsdruck entstehen. Dabei spielt auch die Vorstellung eine Rolle, sich angesichts einer vermeintlich versagenden Regierung selbst zu ermächtigen und Gewalt rechtfertigen zu können. Gleichzeitig wird deutlich, wie die mehrheitsgesellschaftliche Praxis der Schuldabwehr und damit verbunden die fehlende Auseinandersetzung mit deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus, eine Identifikation von Coronaleugner_innen mit damals verfolgten und ermordeten Menschen ermöglicht. Zusätzlich findet damit eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Vergangenheit statt.

Rassismen und Gewaltbereitschaft
Die wiederholte Behauptung sogenannter Querdenker_innen, als Bewegung für alle Menschen offen zu sein und vorgeblich keine Neonazis auf ihren Kundgebungen zu bemerken, erweckt möglicherweise zunächst den Eindruck, dass Rassismen dort nicht mehr als in der gesamten Gesellschaft reproduziert würden. Allerdings bedeutet die Offenheit für oder die Vernetzung mit extrem rechten Akteur_innen, offline wie online, eine Schnittstelle für die Verbreitung von rassistischen Weltanschauungen. Regelmäßig nehmen bekannte (extrem) rechte Akteur_innen an sogenannten Querdenker- Demonstrationen teil. So wurden beispielsweise immer wieder bekannte Rechte aus NPD und AfD bei Kundgebungen gesehen. Über Social Media mobilisierten Personen, die mit der rechtsterroristischen Gruppe S assoziiert werden, ebenfalls für Querdenken-Veranstaltungen [8,9]. Wichtige Hinweise auf diese Entwicklungen wurden durch die Arbeit antifaschistischer Recherche gegeben, die somit Einordnungen ermöglichte, lange bevor Stellungnahmen durch Sicherheitsbehörden vorgenommen wurden. Mit dem Beginn der Pandemie haben durch Anti-Asiatischen-Rassismus begründete Angriffe auch jenseits von Querdenken zugenommen. Hintergrund sind rassistische Berichterstattungen, die die Verbreitung des Virus mit asiatisch gelesenen Menschen in Verbindung bringen. Daran sind Verschwörungsnarrative über den Ursprung des Virus anschlussfähig. Auf das steigende Gewaltpotential und die zunehmende Radikalisierung von Akteur_innen aus coronaleugnerischen und verschwörungsideologischen Szenen ist wiederholt hingewiesen worden. Im März 2021 wurden im Hamburger Stadtgebiet Flyer und Plakate mit Anleitungen zur Sprengung des Impfzentrums in den Messehallen sowie gewaltverherrlichende gegen Politiker_innen und Virolog_innen gerichtete Inhalte gefunden. Daraufhin wurde unter anderem wegen Androhung von Straftaten ermittelt [10]. Auch gehäuft vorkommende Übergriffe zeigen das Gewaltpotential, das in coronabezogenen Verschwörungsideologien liegt, auf. Dabei geht es um Angriffe durch Personen, die das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr verweigern. Mehrmals kommt es dabei zu gefährlichen Körperverletzungen gegen Busfahrer_innen oder Passant_innen, die auf die bestehende Maskenpflicht verweisen. Ende 2021 schossen zwei Personen mit einer Gaspistole auf einen 26-Jährigen, weil er ihnen kurz zuvor den Eintritt in einen Hamburger Kulturverein ohne Maske verwehrt hatte [11]. Der Mord an dem jungen Mitarbeiter einer Tankstelle in Idar-Oberstein zeigt dieses Gewaltpotential in zugespitzter Weise erneut auf. Mit Blick auf die Arbeit der Mobilen Beratung gegen Rechts bleibt es nach wie vor wichtig, die Überschneidung und Vernetzung coronaleugnerischer Szenen mit (extrem) rechten Akteur_innen, Organisationen und Parteien zu betonen. Häufig besteht ein wichtiger Teil der Beratungs- und Bildungsarbeit im Kontext von coronabezogenen Verschwörungsideologien darin, die coronaleugnerischen Inhalte politisch einzuordnen und über rechte Strategien und Strukturen aufzuklären. Dazu gehört auch, die einzelnen (extrem) rechten Ideologieelemente zu identifizieren. Oft werden diese, insbesondere Antisemitismen, nicht erkannt. Grundlage für widerständige Praxen und Strategien ist eine sichere politische Positionierung, die wir mit Ratsuchenden in Bezug auf Verschwörungsideologien gemeinsam entwickeln. Gerade mit Blick auf die Orientierung der Szene in Richtung Institutionen ist es eine wichtige Aufgabe der Zivilgesellschaft, diese Entwicklungen und die Bedrohungen, die aus ihnen erwachsen, ernst zu nehmen und zu benennen. Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich dem entgegenzustellen. Die Verharmlosung der Entwicklungen durch Politik und Sicherheitsbehörden, auch mit Blick auf die coronaleugnerischen Kundgebungen tragen hierzu nicht bei. Es braucht daher auch eine klare Position auf politischer Ebene, um der Verbreitung rechter Ideologien durch coronabezogene Verschwörungsideologien etwas entgegenzusetzen.


1 Leipziger Autoritarismus Studie 2020: https://www.boell.de/de/2020/11/09/ autoritaere-dynamiken-alte-ressentiments-neue-radikalitaet?dimension1= ds_leipziger_studie

2 Monitoring Berichte der Mobilen Beratung Hamburg #12: https://hamburg. arbeitundleben.de/pb/mbt/downloads

3 taz: Der Märchenerzähler. Chef der Biomarke Rapunzel zu Corona (15.08.2020): https://taz.de/Chef-der-Biomarke-Rapunzel-zu- Corona/!5683866/

4 Antifa Infoblatt: DieBasis in Hamburg – parlamentarischer Arm von Querdenken https://antifainfo.blackblogs.org/diebasis-in-hamburg-parlamentarischerarm- von-querdenken/

5 Tagesspiegel:(14.11.2016 ) Proteste der »Demo für alle«. Moral-Panik gegen Sexualkunde https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/ proteste-der-demo-fuer-alle-moral-panik-gegen-sexualkunde/14836532. html

6 Bündnis für Akzeptanz und Vielfalt Wiesbaden: Recherche Papier: Wer ist die sogenannte »Demo für Alle«? https://ihr-seid-nicht-alle.de/material/

7 »Werden unsere Kinder bald zwangsgeimpft?« Artikel auf der Homepage von demofüralle (06.12.2021)

8 Exif Recherche und Analyse: «Gruppe S.» & die drei verschonten Neonazis (07.04.2021) https://exif-recherche.org/?p=7045

9 Corona-Leugner/-innen in Hamburg – bald Dresdner Verhältnisse? Schriftliche Kleine Anfrage von Die Linke an den Hamburger Senat (16.03.2021) https:// www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74884/corona_leugner_innen_ in_hamburg_bald_dresdner_verhaeltnisse.pdf

10 Hamburger Morgenpost: Vermutlich von Corona-Leugnern: Polizei entdeckt gewaltverherrlichende Plakate (02.03.2021)https://www.mopo.de/hamburg/ vermutlich-von-corona-leugnern-polizei-entdeckt-gewaltverherrlichende-plakate- 38133292/

11 Hamburger Abendblatt: Maskenstreit eskaliert-Schüsse ins Gesicht (25.11.2021) https://www.abendblatt.de/hamburg/polizeimeldungen/ article233931739/

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